OBERLANDESGERICHT MÜNCHEN
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL

Aktenzeichen:
10 U 5796/07

Verkündet am 6. Juni 2008

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

erlässt der 10. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Doukoff und die Richter am Oberlandesgericht Tischler und Halbritter aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. April 2008 folgendes

Endurteil:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Deggendorf vom 11.12.2007 dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 6.021,85 EUR nebst Zinsen hieraus In Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.08.2007 zu bezahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

1. Ein Vollkaskoschadensfall ist zwischen den Parteien bis auf den streitgegenständlichen Betrag abgewickelt worden. Die Beklagte verweigert die Bezahlung der klägerischen Restforderung mit der Begründung, der Kläger als Versicherungsnehmer habe sich einer Obliegenheitsverletzung insoweit schuldig gemacht, als er sein Unfallfahrzeug weisungswidrig um die Klagesumme zu niedrig verkauft habe.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens und der gestellten Anträge wird auf die tatsächlichen Feststellungen des landgerichtlichen Urteils nach § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

2. Das Landgericht ist der Argumentation der Beklagtenpartei gefolgt und hat die Klage abgewiesen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge unverändert werter.

Mit der Ladungsverfügung vom 25.02,2008 erteilte der Senatsvorsitzende verschiedene Hinweise (zu Bl. 48 d. A.); weitere Hinweise (nicht protokolliert) erfolgten In der Sitzung vom 18.04.2008. Hierzu erfolgte jeweils spezifizierter Vortrag der Parteien.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Die Beklagte, die das erstinstanzliche Urteil verteidigt, hat die Zulassung der Revision beantragt.

II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig und auch sachlich gerechtfertigt. Die Beklagte kann dem Kläger nicht mit Erfolg eine Obliegenheitsverletzung anlasten, die sie zur Kürzung der klägerischen Ansprüche berechtigten würde.

1. Soweit im Ersturteil auf Seite 6 argumentiert wird, nach § 7 Abs. 3 AKB hätte der Kläger die Weisungen des Versicherers, also der Beklagten, einzuholen gehabt, wird dabei nicht berücksichtigt, dass dies bereits mit der Schadensmeldung selbst erfolgt. Die Meldung selbst beinhaltet, ohne dass dies textlich so ausgedruckt sein müsste, die Aufforderung, Weisung zu erteilen. Mit der Erteilung von Weisungen kann sich die Versicherung nicht beliebig Zelt lassen. Wenn auch das Weisungsrecht das Verfügungsrecht des Eigentümers nicht tangiert, kann, wie nicht zuletzt dieser Fall zeigt, die Nichtbeachtung von Weisungen erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen für den Versicherten haben. Der Versicherte hat ein Interesse daran, möglichst bald zu erfahren, ob und gegebenenfalls welche Weisungen ihm erteilt werden sollen. Hierzu muss sich die Versicherung aber umgehend äußern, wobei Rechtsprechung und Literatur von einem Zeitraum von ca. 1 Woche ausgehen (auf die Hinweise vom 25.02.08 unter 1. c) wird verwiesen). Dies zugrunde gelegt ergibt aber Folgendes:

Die Schadensmeldung unmittelbar gegenüber der Beklagten war am 30.4.2007 erfolgt, jedoch am Samstag, den 28.04.2007 bereits gegenüber dem Versicherungsvertreter (Allianz-Agentur Fischer). Seitens der Beklagten wurde dies nicht in Frage gestellt, jedoch für irrelevant gehalten, nachdem der Ansprechpartner vom 28.04. mit der Schadensabwicklung nichts zu tun gehabt hätte. Unberücksichtigt bleibt bei dieser Argumentation, dass zumindest nach damaligem Recht die Meldung gegenüber einem Repräsentanten der Beklagten erfolgte und insoweit durchaus von Bedeutung Ist. Irgendwelche Weisungen sind hier innerhalb der Wochenfrist nicht erfolgt, gleichgültig, von welchem Fristbeginn ausgegangen wird.

Es wurde von Seiten der Beklagten in erster Instanz wiederholt ausgeführt, der Kläger habe das Weisungsrecht der Versicherung nicht beachtet, was aber völlig unschädlich ist, denn dieses Recht ergibt sich aus § 7 Abs. 3 AKB von selbst. Nicht das – abstrakte – Weisungsrecht, sondern eine konkrete Weisung hat gegebenenfalls der Kläger zu beachten. Bei dieser Weisung handelt es sich um eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung von gestaltender Wirkung. Alles, was der Kläger innerhalb der hier anzunehmenden Frist wusste, war, dass die Beklagte ein Schadensgutachten erholen wollte. Ausführungen der Beklagten könnten dahingehend verstanden werden, dass sie davon ausgegangen sei, dass der Kläger aufgrund dessen wisse, was von Ihm erwartet würde, nämlich, sich zunächst der Verfügung über das Fahrzeug zu enthalten. Eine Weisung vermag eine solche Erwartungshaltung aber nicht zu ersetzen.

Von anderen Versicherungen ist dem Senat eine Vorgehensweise dahingehend bekannt, dass auf die Schadensmeldung hin umgehend der Versicherungsnehmer angeschrieben wird, ihm eine konkrete Weisung erteilt wird, die zu diesem Zeitpunkt naturgemäß nur darin bestehen kann, sich zunächst jeder Verfügung zu enthalten und zugleich auch darauf hingewiesen wird, welche wirtschaftlichen Nachtelle es haben kann, derartige Weisungen nicht zu befolgen. Es ist einsichtig, dass sich binnen einer Woche nicht die Besichtigung, die Gutachtenerstellung und eine Restwertrecherche wird realisieren lassen.

Nach der Darstellung des Procedere bei der Restverwertung erscheint durchaus verständlich, dass eine Vielzahl von Versicherten mangels eigener Erfahrung sich die Unterstützung durch die von der Beklagten eingeschaltete Vermittlung bei der Verwertung gerne gefallen lassen. Die Beklagte durfte jedoch von Anfang an gewusst haben, muss jedenfalls im Laufe des Verfahrens erfahren haben, dass der Kläger selbst vom Fach Ist und auf eine derartige Hilfestellung nicht angewiesen ist. Umso mehr war dem Kläger gegenüber eine eindeutige klarstellende Weisung angebracht.

2. Hätte der Kläger nach Ablauf der Wochenfrist, etwa in der zweiten Maiwoche, sein Fahrzeug veräußert, würde ihm dies nicht zum Nachteil gereichen. Es hätte dann keine Obliegenheitsverletzung vorgelegen, da mangels Weisung überhaupt noch keine Obliegenheit entstanden war. Eine eindeutige Weisung Im Sinn des § 7 Abs. 3 AKB enthält erst das vom Haussachverständigen Bachhuber der Beklagten erstellte Gutachten vom 15.5.2007 auf Seite 2, das dem Kläger am 16,5.2007 zugegangen war.

Nachdem der Kläger sein Unfallfahrzeug schon tags zuvor veräußert hatte, konnte er mit dieser Veräußerung nicht mehr weisungswidrig handeln, da eine Weisung noch gar nicht vorgelegen hatte. Dabei kann die Frage offen bleiben, ob ein Weisungsrecht mehr als zwei Wochen nach der Schadensmeldung überhaupt noch besteht.

Erst auf die Hinweise vom 25.2.2008 hin wurde seitens der Beklagten behauptet, es sei schon früher eine Weisung erfolgt, nämlich durch den Haussachverständigen Bachhuber am 10.5.2007 anlässlich der Besichtigung des Unfallfahrzeugs durch den Sachverständigen, wobei diesem Sachverständigen unstreitig am Anfang der Besichtigung ein Exemplar des bereits fertig gestellten Gutachtens des Beklagten ausgehändigt und vom Sachverständigen durchgeschaut worden war.

3. Die Behauptung der Beklagten über eine erteilte Weisung wurde von Seiten der Klagepartei nachhaltig bestritten. Für ihre konträren Behauptungen haben beide Parteien Zeugenbeweis angeboten, der hier jedoch nicht erhoben zu werden braucht. Bei der Weisung im Gutachten vom 15.05.2007 (Anlage K 3) handelte es sich nämlich nicht um eine solche, die auf Seiten des Klägers eine Obliegenheitsverletzung hätte bewirken können.

In K 3 wird mitgeteilt, dass ein Restwertangebot von brutto 16,166,- EUR vorläge, dass das Angebot abgegeben wurde von „I.H.S, Abwicklung/Service, (es folgen Münchner Postleitzahl, die ID-Nummer, Telefon- und Faxnummer), dass das Angebot verbindlich sei bis 04.06.2007 und dass der Kläger sich direkt mit dem interessierten Aufkäufer in Verbindung setzen solle.

Dies kann nur so verstanden werden, dass es sich bei dem Angebot um ein eigenes Angebot der I.H.S. handelt und es sich bei ihr um den „interessierten Aufkäufer“ handelt. Die Weisung, das Unfallfahrzeug für brutto 16.166,- EUR an die I.H.S. zu veräußern, war jedoch gar nicht durchführbar. Vorab ist festzuhalten, dass es sich bei der I.H.S. im Gegensalz zur wiederholten dahingehenden Bezeichnung im Ersturteil nicht um eine Firma im Rechtssinn handelt. Der Fußzelle in Anlage B 2 ist zu entnehmen, dass es sich bei I.H.S. um eine Dienstleistungsabteilung einer bis dahin nicht in Erscheinung getretenen Münchener GmbH handelt. Es ist hiernach schon nicht erkennbar, dass I.H.S. überhaupt rechtsfähig und imstande wäre, für sich oder andere einen verbindlichen Vertrag zu schließen. Dies war im Gegensatz zur Darstellung in der Anlage K 3 von Seiten der Dienstleistungsabteilung I.H.S. auch nie beabsichtigt. Die I.H.S, hatte mit Hilfe einer Restwertbörse einen in K 3 nicht benannten Interessenten aufgetan, der das angebotene Unfallfahrzeug für 16.166,–EUR zu erwerben bereit war. Es handelte sich bei dem nicht genannten Interessenten um eine tschechische Firma. Eine korrekte Weisung hätte also dahingehend gelautet, dass die Beklagte sich eines vermittelnden Betriebs bedient, der für sie Kaufinteressenten vermittelt, hätte den konkreten Kaufinteressenten benannt und genauer bezeichnet, die Anordnung des Verkaufs enthalten, sowie gegebenenfalls noch einen klärenden Hinweis dahingehend, dass die I.H.S. auch die Kaufabwicklung betreut und dem Versicherten hierbei behilflich ist.

Nach der Vorstellung der Beklagten hätte der Kläger sein Fahrzeug an jemand anderen als den benannten „interessierten Aufkäufer“ verkaufen müssen, was jedoch dem Wortlaut und dem Inhalt der Weisung widersprochen hätte.

Es gehört jedoch keinesfalls zu den Obliegenheiten des Versicherten, erst einmal zu recherchieren, ob mit der Weisung inhaltlich etwas anderes gemeint war, als dort zum Ausdruck gebracht wurde und sodann streng genommen weisungswidrig zu verfahren, bzw. darauf hinzuwirken, dass die Versicherung eine anderslautende, ihren Intentionen entsprechende Weisung erteilt.

K 3 enthält kein annahmefähiges Angebot an den Kläger; der dort enthaltenen und gar nicht realisierbaren Weisung nicht zu folgen stellt auch keine Obliegenheitsverletzung dar.

4. Der Kläger kann folglich von der Beklagten aus dem Vollkaskovertrag auch den restlichen Schaden ersetzt verlangen, der der Höhe nach, 6.021.85 EUR, unstreitig ist.

Antragsgemäß waren auch die Rechtshängigkeitszinsen in gesetzlicher Höhe zuzuerkennen, § 286 Abs. 1 Satz 2 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung Ober die vorläufige Vollstreckbarkeit ist auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO gestützt.

Die Revision ist nicht zuzulassen, denn Gründe, die die Zulassung nach § 643 Abs. 2 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Solche Gründe sind auch seitens der Beklagtenpartei nicht dargelegt worden. Es handelt sich hier um eine Einzelfallentscheidung, in der weder ausgesprochen ist, ob und gegebenenfalls wie lange über die Wochenfrist hinaus ein Weisungsrecht noch besteht und in der auch nicht die Berechtigung der Beklagten, sich bei der Restverwertung einer Vermittlung zu bedienen, in Abrede gestellt wird.

Quelle: Urteil des OLG München vom 06.06.2008, Az.: 10 U 5796/07

 

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