Restwertentscheidung des BGH, VI ZR 219/98 Urteil vom 30.11.1999

(Auszüge aus einem Info des Bundesverbandes der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen für das Kraftfahrzeugwesen e.V. -BVSK-)

Leitsätze:

  1. Bei der Ersatzbeschaffung gem. § 249 Satz 2 BGB genügt der Geschädigte im allgemeinen dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, wenn er im Totalschadensfall das Unfallfahrzeug zu dem in einem Sachverständigengutachten ausgewiesenen Restwert verkauft oder in Zahlung gibt.
  2. Weist der Schädiger ihm jedoch eine ohne weiteres zugängliche günstigere Verwertungsmöglichkeit nach, kann der Geschädigte im Interesse der Geringhaltung des Schadens verpflichtet sein, davon Gebrauch zu machen.
  3. Der bloße Hinweis auf eine preisgünstigere Möglichkeit der Verwertung, um deren Realisierung sich der Geschädigte erst noch bemühen muss, genügt indessen nicht, um seine Obliegenheiten zur Schadensminderung auszulösen.
  4. Zu den Voraussetzungen der Sachdienlichkeit bei Zulassung einer Klageänderung.

Aus den Gründen:

Im Ansatz geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass die Klägerin im Totalschadensfall wie hier nur Ersatz des Wiederbeschaffungswertes abzüglich des Restwertes verlangen kann (BGHZ 11, 364, 372; Senatsurteil vom 21. Januar 1992 – VI ZR 142/91 – VersR 1992, 457; vom 6. April 1993 – VI ZR 181/92 – VersR 1993, 769). Wie der Senat in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen hat, steht die Ersatzbeschaffung als Variante der Naturalrestitution unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit. Das bedeutet, dass der Geschädigte bei der Schadensbehebung gemäß § 249 Satz 2 BGB im Rahmen des ihm Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage grundsätzlich den wirtschaftlichsten Weg zu wählen hat (BGHZ 115, 364, 368 f.; 115, 375, 378; 373, 376).

a)
Das Wirtschaftlichkeitspostulat gilt, wie der Senat ebenfalls mehrfach betont hat, auch für die Frage, in welcher Höhe der Restwert des Unfallfahrzeuges bei Schadensabrechnung berücksichtigt werden muss (Senatsurteil vom 21. Januar 1992 aaO und vom 6. April 1993 aaO S. 770), denn auch bei der Verwertung des beschädigten Fahrzeuges muss sich der Geschädigte grundsätzlich im Rahmen der wirtschaftlichen Vernunft halten. Das beruht auf dem Gedanken, dass er bei der Ersatzbeschaffung nach § 249 Satz 2 BGB nur den dafür erforderlichen Geldbetrag verlangen kann.

Dem Gebot zur Wirtschaftlichkeit leistet der Geschädigte indessen im allgemeinen Genüge und bewegt sich in den für die Schadensbehebung durch § 249 Satz 2 BGB gezogenen Grenzen, wenn er das Unfallfahrzeug auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens und des darin ausgewiesenen Restwertes verkauft oder in Zahlung gibt. Denn das Gutachten eines anerkannten Sachverständigen bildet in aller Regel eine geeignete Grundlage für die Bemessung des Restwertes, so dass der Geschädigte den so ermittelten Restwertbetrag grundsätzlich seiner Schadensberechnung zugrunde legen darf. Der Schädiger kann den Geschädigten deshalb insbesondere nicht auf einen höheren Restwerterlös verweisen, den dieser auf einem Sondermarkt durch spezialisierte Restwertaufkäufer erzielen könnte (Senatsurteil vom 21. Januar 1992 und vom 6. April 1993 zu II 3 jeweils aaO; OLG Hamm NJW 1993, 404; OLG Nürnberg NJW1993, 404, 405; vgl. auch BGHZ 132, 373, 378).

b)
Diese Grundsätze, von denen auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, schließen es freilich nicht aus, dass besondere Umstände dem Geschädigten Veranlassung geben können, günstigere Verwertungsmöglichkeiten wahrzunehmen, um seine sich aus § 254 Abs. 2 BGB ergebenden Verpflichtung zur Geringhaltung des Schadens zu genügen. Denn der Geschädigte steht bei der Schadensbehebung gemäß § 249 Satz 2 BGB nicht nur unter dem allgemeinen Gebot, einen wirtschaftlich zulässigen Weg zu wählen. Vielmehr kann er aus dem letztlich auf § 242 BGB zurückgehenden Rechtsgedanken der Schadensminderungspflicht gemäß § 254 BGB (vgl. BGHZ 132, 373, 376) auch gehalten sein, unter besonderen Umständen von einer zulässigen Verwertung Abstand zu nehmen und andere sich ihm darbietende Möglichkeiten der Verwertung im Interesse der Geringhaltung des Schadens im Rahmen des Zumutbaren zu ergreifen. Dass der Sachverständigen- schätzwert nicht ausnahmslos der Schadensabrechnung zugrunde gelegt werden darf, hat der Senat bisher schon anerkannt, so insbesondere für den Fall, dass der Geschädigte bei dem Verkauf oder Inzahlunggabe ohne überobligationsmäßige Anstrengung tatsächlich einen höheren Preis erzielt hat (Senatsurteil vom 21. Januar 1992 aaO). Deshalb gilt der Grundsatz, dass der von einem Sachverständigen ermittelte Restwert eine geeignete Grundlage für die Schadensabrechnung bilde, nur „in aller Regel“. Desgleichen können auch Ausnahmen von dem Grundsatz, dass sich der Geschädigte nicht auf spezialisierte Restwertaufkäufer verweisen zu lassen brauche, nicht von vornherein ausgeschlossen werden.
Doch müssen derartige Ausnahmen, deren Voraussetzungen zur Beweislast des Schädigers stehen, in engen Grenzen gehalten werden, weil andernfalls die dem Geschädigten nach § 249 Satz 2 BGB zustehende Ersetzungsbefugnis unterlaufen würde (Senatsurteil vom 21. Januar 1992 zu II.2) b) bb) und vom 6. April 1993 zu II.3) b)). Nach dem gesetzlichen Bild des Schadensersatzes ist der Geschädigte Herr des Restitutionsgeschehens. Diese Stellung darf ihm durch eine zu weite Ausnahmehandhabung nicht genommen werden. Insbesondere dürfen ihm bei Schadensbehebung die von der Versicherung gewünschten Verwertungsmodalitäten nicht aufgezwungen werden.

c)
Bei Zugrundlegung dieser Maßstäbe kann dem Berufungsgericht nicht in der Auffassung gefolgt werden, die Klägerin habe hier mit dem Verkauf des Unfallfahrzeuges zu dem Schätzwert des Sachverständigen gegen ihre Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 BGB verstoßen. Zwar kann dem Berufungsgericht im Ansatz durchaus in der Auffassung beigetreten werden, dass der Geschädigte, der mühelos einen höheren Erlös zu erzielen vermag oder wenn der Schädiger ihm eine ohne weitere zugängliche günstigere Verwertungsmöglichkeit nachweist, sich den höheren, ihm möglichen Erlös im Rahmen des Zumutbaren zurechnen lassen muss. Doch hat das Berufungsgericht die tatsächlichen Voraussetzungen für eine solche Sachgestaltung nicht festgestellt.

aa)
Die Beklagte zu 3) hatte die Klägerin mit Schreiben vom 3. Juli 1995 lediglich auf ein Restwertangebot der Firma R. über 10.000 DM (brutto) hingewiesen. Der Nettopreis von 8.695,65 DM lag zwar mit 3.195, 55 DM wesentlich über dem vom Sachverständigen geschätzten Wert von 5.500 DM. Doch der bloße Hinweis auf eine preisgünstigere Möglichkeit der Verwertung, um deren Realisierung sich die Klägerin erst noch hätte bemühen müssen, genügte nicht, um deren Schadensminderungsobliegenheiten auszulösen. Da ein bindendes Angebot der Firma R. gegenüber der Klägerin – anders als in dem mit Senatsurteil vom 21. Januar 1992 entschiedenen Fall – bisher nicht vorlag, hätte sich diese erst noch selbst an die Firma R. wenden müssen, wie sie es mit Schreiben vom 18. Juli 1995 dann auch getan hat, um von dieser ein konkretes und verbindliches Angebot einzuholen. Es kann also schon deswegen keine Rede davon sein, dass die Klägerin mühelos einen höheren Erlös hätte erzielen können oder die Beklagte zu 3) ihr eine günstigere Verwertungsmöglichkeit nachgewiesen hätte. Der Klägerin wurde vielmehr erst noch die Entfaltung eigener Initiative zum Verkauf an einen Restwertaufkäufer abverlangt, zu der sie nicht verpflichtet war.

bb)
Die Revision weist auch zu Recht darauf hin, dass sich die Firma F. in G. in erheblicher Entfernung vom Wohnort der Klägerin befindet und das Berufungsgericht nicht festgestellt hat, dass sich die Firma R. bereitgefunden hätte, das Unfallfahrzeug abzuholen und auf ihre Kosten nach G. zu verbringen. Solange sich der Aufkäufer dazu nicht bereit erklärt, braucht sich der Geschädigte auf derartige Verwertungsmöglichkeiten nicht einzulassen. Vielmehr kann der Geschädigte bei Ausübung seiner Ersetzungsbefugnis zunächst auf den ihm zugänglichen allgemeinen Markt seiner Umgebung zurückgreifen (vgl. BGHZ 132, 373, 380).

cc)
Zu Unrecht lastet das Berufungsgericht der Klägerin ferner als Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht an, dass sie, ohne die Antwort der Firma R. auf ihre Anfrage vom 18. Juli abzuwarten, ihren Wagen zu dem niedrigeren Schätzwert des Sachverständigen veräußert hat, es sei ihr ohne weiteres möglich gewesen, vor der Veräußerung bei der Firma R. nachzufragen, ob diese an ihrem höheren Restwertangebot festhalte. Wie bereits vermerkt, hatte die Firma R. der Klägerin noch gar kein konkretes Angebot unterbreitet. Außerdem befand sich dieses Unternehmen außerhalb der engeren räumlichen Umgebung der Klägerin, so dass diese vor der Frage stand, wie und auf wessen Kosten das Unfallfahrzeug nach G. hätte verbracht werden sollen. Es wäre Sache der Beklagten gewesen, der Klägerin diese Lasten abzunehmen.
Überdies kann die Klägerin gute Gründe gehabt haben, den Unfallwagen zu verkaufen, bevor eine Antwort auf ihre Anfrage bei der Firma R. eingegangen war. Wann und warum sie das Unfallfahrzeug verkaufte, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.
Es ist aber, auch unter Beachtung der Grundsätze über die sekundäre Darlegungslast (Senatsurteil vom 24. November 1998 – VI ZR 388/97 – VersR 1999, 774 m.w.N.), Sache des Schädigers, die mitverschuldensbegründenden Umstände darzulegen und notfalls zu beweisen. Ein Verstoß gegen die sich § 254 Abs. 2 BGB ergebende Pflicht zur Geringhaltung des Schadens kann dem Geschädigten erst dann vorgeworfen werden, wenn solche Umstände feststehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Geschädigte im allgemeinen ein berechtigtes Interesse an einer alsbaldigen Schadensbehebung hat und ihm deshalb ein längeres Zuwarten bei sich bietender sofortiger Verwertungsmöglichkeit unter Umständen nicht zuzumuten ist. Immerhin war hier seit dem Unfall am 28. Mai bereits geraume Zeit verstrichen, als die Klägerin bei der Firma R. mit Schreiben vom 18. Juli um ein Angebot bat, bis zum 26. Juli aber noch keine Antwort erhalten hatte. Bei dieser Sachlage kommt ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht nur dann in Betracht, wenn Umstände feststehen, bei denen der Klägerin ein weiteres Zuwarten durchaus zuzumuten gewesen wäre. Davon kann hier nach den bisherigen Feststellungen jedoch keine Rede sein.

 

Anmerkung:

Nach der grundlegenden BGH-Entscheidung zum Restwert aus dem Jahre 1993 hatte sich der Bundesgerichtshof nun erstmalig wieder mit einer Restwertfrage zu befassen. Gerade vor dem Hintergrund der derzeitig anhängigen Restwertregressverfahren gegen Kfz-Sachverständige ist die Entscheidung von erheblicher Bedeutung.

Positiv festzuhalten ist, dass der BGH die Senatsurteile von 21. Januar 1992 und 6. April 1993 ausdrücklich bestätigt.
Zutreffend führt der BGH insoweit aus, dass das Gutachten eines anerkannten Sachverständigen in aller Regel eine geeignete Grundlage für die Bemessung des Restwertes darstellt, so dass der Geschädigte den so ermittelten Restwertbetrag grundsätzlich seiner Schadensberechnung zugrunde legen darf.

Der vom BGH zu entscheidende Fall unterschied sich von den früheren BGH-Fällen dadurch, dass vorliegend der Geschädigte sein Fahrzeug noch nicht veräußert und der regulierungspflichtige Haftpflichtversicherer auf höhere Angebote verwiesen hatte.

Auch bislang wurde überwiegend in der Literatur die Auffassung vertreten, dass der Geschädigte zumindest verpflichtet ist, konkrete höhere Angebote des Versicherers aus dem Gesichtspunkt der Schadenminderungspflicht gemäß § 254 BGB zu beachten, soweit er das Fahrzeug noch nicht zu den im Gutachten ausgewiesenen Preis zuvor veräußert hat. Im wesentlichen tritt der BGH dieser Auffassung bei, nicht jedoch ohne hier eine sehr restriktive Auslegung vorzunehmen. So muss es sich um ein verbindlich vorliegendes konkretes Angebot handeln, aus dem sich ergibt, dass der Restwertinteressent beispielsweise auch die Transportkosten für das unfallbeschädigte Fahrzeug übernimmt. Keine Stellungnahme hat der BGH abgegeben zu der eigentlich entscheidenden Frage, welche Anforderungen im einzelnen inhaltlich an derartige Angebote des Restwertsondermarktes zu stellen sind. Nach wie vor offen ist die Frage, ob ausschließlich abzustellen ist auf einen am Markt erzielbaren Preis oder ob Wiederaufbaukosten in Deutschland bzw. Reparatur- und Ersatzteilpreise in Deutschland zu berücksichtigen sind. Klargestellt hat der BGH jedoch erneut, dass der Geschädigte nicht etwa gehalten ist, eigene Anstrengungen bezüglich möglicher höherer Restwerterlöse auf dem Sondermarkt zu unternehmen, sondern sich nach wie vor uneingeschränkt auf das Gutachten des von ihm beauftragten Kfz-Sachverständigen verlassen kann. Bemerkenswert ist die Aussage in der Entscheidung, dass sich der Geschädigte auf die Restwertermittlung eines anerkannten Sachverständigen verlassen darf.

Zumindest wird hieraus deutlich, dass der Geschädigte sehr wohl verpflichtet ist, bei der Auswahl des Sachverständigen besondere Qualitätskriterien zu berücksichtigen. ZurDefinition greift der BGH hier auf einen Begriff zurück, den er bereits 1984 in der sogenannten Anerkennungsentscheidung einer Bewertung unterzogen hatte und in der er ausführte, dass sich anerkannter Sachverständiger nur nennen darf, wer sich einer besondere Qualifikation, die im wesentlichen den Prüfungen der IHK’s zu entsprechen habe, unterzogen hat.

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